Bericht 2013/1

Prof. Dr. jur. Holger Hoffmann

Fachhochschule Bielefeld

Europäische Entwicklungen im Asyl- und Flüchtlingsrecht Dezember 2012 – Juni 2013

Vorbemerkung:

Dieser Bericht weicht von der üblichen Form der vorangegangenen ab und fokussiert die am 6./7. Juni im EU Rat und am 12.Juni vom Parlament beschlossenen Neufassungen von Richtlinien und Verordnungen zum gemeinsamen europäischen Asylsystem (GEAS). Zunächst werden unter I. alle Rechtsinstrumente, die das GEAS bilden, als Übersicht dargestellt, bevor unter II. zu einzelnen, insbesondere der geänderten „Dublin“–VO, der EURADAC–VO und der AsylverfahrensRL detaillierte Anmerkungen und in Teil III. eine erste Gesamtschau der Neuregelungen folgen. Die Texte der neugefassten Asylzuständigkeits-VO („Dublin III“), der Asylverfahrensrichtlinie und der Richtlinie Aufnahmebedingungen sind als Anlagen 1 – 3 in deutscher Übersetzung beigefügt, der Text der EURODAC–VO, die vom Parlament bereits beschlossen wurde, vom Rat aber erst Ende Juni ange­nommen werden wird, als Anlage 4 in Englisch[1].

[Hinweis: Diese Anlagen finden sich derzeit nicht auf dieser Website der Rechtsberaterkonferenz; sie können über die einschlägigen Websites gefunden werden!]

Teil IV (Rechtsprechung) enthält nur in Ziffer 1 mit direktem, sonst ohne unmittelbaren Bezug zu den Teilen I –III – einen Überblick zu einigen Entscheidungen europäischer Rechtsprechung der zurückliegenden sechs Monate, die aus meiner Sicht „über den Tag hinaus“ bedeutsam sind.

I.         Der Rahmen des GEAS

Im „Stockholmer Programm“ von 2009 verabredeten Europäischer Rat und Parlament, die Bemü­hungen zu intensivieren, bis spätestens 2012 ein gemeinsames europäisches Asylverfahren und einen einheitlichen Status für Personen denen Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wird, zu schaffen. Die rechtliche Vorgabe dazu findet sich in Artikel 78 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV):

„(1) Die Union entwickelt eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll. Diese Politik muss mit dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 und dem Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen.“[2]

Ziel soll sein, ein gemeinsames System von Normen und Verfahren zur Gewährung des Flüchtlings- und des subsidiären Schutzes zu errichten. Das sollte zunächst das bis Ende 2011 geschehen, gelang damals aber nur für die Neufassung der Quakifikatinosrichtlinie, alles Weitere wurde mehrfach verschoben. Seit Sommer 2012 gab es „Verhandlungsfortschritte“ bei den Neufassungen. Am 12.Juni 2013 wurden vom Parlament nun in überarbeiteter Form die Aufnahme- und die AsylverfahrensRL sowie die Dublin VO und die Eurodac- VO beschlossen. Der Rat hatte die ersten drei Instrumente bereits am 6. Juni beschlossen und wird nach dem bisherigen „Fahrplan“ die Eurodac – VO Ende Juni beschließen.

Das GEAS umfasst zwei Institutionen, das Europäische Asylunterstützungsbüro (EASO) und die EU-Grenzschutzagentur (FRONTEX) und zwei Verordnungen, die sog. „Dublin-VO“[3]und die „Eurodac-VO“[4], sowie zahlreiche Richtlinien (im folgenden Text abgekürzt:RL), von denen stichwortartig als wichtigste zu nennen sind: „QualifikationsRL“, „AsylverfahrensRL“, „AufnahmeRL“, „MassenzustromRL“ ,„RückführungRL“. Im Einzelnen:

1.      Zur Historie und den Neufassungen von Verordnungen und Richtlinien

Dublin III -VO“: Einen ersten Vorschlag zur Überarbeitung hatte die Kommission bereits im Dezember 2008 vorgelegt. Das EU-Parlament stimmte am 29. November 2010 zu. Nachdem jedoch der Rat mit den Änderungsvorschlägen nicht einverstanden war, begann erst im Mai 2012 ein „Trialog“ zwischen der EU-Präsidentschaft, dem Berichterstatter des Parlaments und der Kommis­sion mit dem Ziel, einen Kompromissvorschlag zu formulieren. Die Position von Kommission und Parlament ging insbesondere dahin, Verfahrensrechte im „Dublin-Verfahren“ zu verbessern oder wenigstens nicht zu verschlechtern. Die Neufassung der VO stand dabei nicht zuletzt unter dem Eindruck der EGMR – Entscheidung vom 21.01.2011 (M.S.S./.Belgien und Griechenland) und des EuGH vom 21.12.2011 (C-411/10-N.S. und C-493/10-M.E).Es sollte unmöglich werden, Antrag­steller in Mitgliedstaaten zu überstellen, in denen ein systemischer Mangel im Bereich der Asylver­fahren und der Aufnahmebedingungen herrscht und das Risiko un­menschlicher oder erniedrigender Behandlung.“[5]

Die Eurodac-Verordnung regelt Aufbau und Arbeitsweise der Datenbank mit Fingerabdrücken von Asylsuchenden etc. und ergänzt die Dublin-Verordnung. Ihre erste Fassung aus dem Jahre 2000 wird jetzt ersetzt durch eine Fassung, die zwischen Parlament und Rat im März 2013 abge­sprochen wurde. Neu ist insbesondere, dass Polizei und Sicherheitsbehörden Zugriff auf die Eurodac-Daten erhalten werden bei Verfolgung von Terrorismus –Delikten und besonders schweren Straftaten. Bemerkenswert erscheint, dass der Rat erst bereit war, alle übrigen Änderungen asyl- und flüchtlingsrechtlicher Normen zu akzeptieren, nachdem die Neufassung Eurodac-VO abge­stimmt wurde – in Beleg für die – aus Sicht des Rates – zentrale Bedeutung für das gesamte GEAS.

Beide neu gefassten Verordnungen gelten „automatisch“ in allen Mitgliedstaaten der Union. Als assoziierte Staaten werden Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein dieses Recht ebenfalls anwenden.

Ferner gelten folgende fünf Richtlinien, die stichwortartig bezeichnet werden als:

–         „Qualifikationsrichtlinie“: Ihre erste Fassung stammt von 2004 und wurde 2011 ersetzt. Sie muss in den Mitgliedstaaten bis Dezember 2013 umgesetzt werden.[6]

–         „Asylverfahrensrichtlinie“: Ihre erste Fassung stammt von 2005. Sie wird ersetzt durch eine Neufassung, die am 21. März 2013 von Parlament und Rat vereinbart wurde. Auch hier beträgt die Umsetzungsfrist zwei Jahre mit der Besonderheit, dass eine weitere Frist von drei Jahren be­steht, um Neuregelungen im Hinblick auf die Übernahme von Asylsuchenden durch andere Staaten umzusetzen.[7]

–         „Aufnahmerichtlinie“: Die erste Fassung datiert von 2003. Sie wird nun ersetzt durch eine Neufasung, die von Rat und Parlament bereits im Juli 2012 vereinbart wurde. Diese muss bis 2015 – von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden.[8]

–                        „Massenzustromsrichtlinie“: Diese Richtlinie „zum vorübergehenden Schutz“ ist das älteste Rechtsinstrument aus diesem Bereich. Sie wurde bereits 2001 verabschiedet und bis heute nicht mehr verändert. Da der politische Umsetzungsmechanismus hochkompliziert ist, wurde sie bisher nicht praktisch angewandt. Die Umsetzungsnorm in deutsches Recht ist § 24 AufenthG.[9]

–                        „Rückführungsrichtlinie“: Mit ihr sollen die Verfahren bezüglich aufenthaltsbeendender Maß­nahmen und Abschiebungen vereinheitlicht werden. Sie wurde bereits im Dezember 2008 ver­abschiedet und bisher nicht novelliert.[10]

Weiter gehören zum GEAS folgende Verordnungen und Richtlinien:

–                                      VO über das europäische Asylunterstützungsbüro (EASO): Das EASO wurde mit Verord­nung (EU) Nr. 439/2010 vom 19. Mai 2010 errichtet. Es hat seit Sommer 2011 sein Hauptquar­tier in Valetta (Malta).Es unterstützt z.Zt. die griechischen Asyl- und Einwanderungsbehörden, führt Trainingsmaßnahmen für Behörden der Mitgliedstaaten durch, erarbeitet gemeinsame Be­richte über die Lage in Herkunftsländern (bislang zwei Berichte zu Afghanistan veröffentlicht) und koordiniert die Zusammenarbeit in Fällen unbegleiteter Minderjähriger und beim Schutz für Opfer des Menschenhandels.

–                                      VO zur europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX[11]: FRONTEX soll die gemeinsamen Operationen von Grenzschutzbehörden der Mitgliedstaaten, etwa im Mittelmeer, koordinieren. Eine weitere Aufgabe ist die Analyse der „Migrationsströme“. Die Agentur organisiert darüber hinaus die technische wie personelle Unterstützung von Behörden der Mitgliedstaaten, die Koo­peration mit Drittländern sowie gemeinsame Abschiebungsoperationen. Die Aufgabenergänzung von 2011 verpflichtet FRONTEX, eine Strategie zu entwickeln zur stärkeren Beachtung der Menschenrechte bei FRONTEX-Einsätzen. Seit Dezember 2012 ist die spanische Rechtsanwältin Inmaculada Arnaez Fernandez als Menschenrechtsbeauftragte für FRONTEX tätig. Ebenfalls Ende 2012 hat das sogenannte „Konsultativforum“, das sich aus Vertretern der europäischen Grundrechteagentur, des EASO, zwischenstaatlicher Organisationen und neun NGOs besteht, seine Arbeit aufgenommen Diese besteht insbesondere darin, dass die Mitglieder sich intensiv für eine Verbesserung der Menschenrechtslage für Flüchtlinge an den Außengrenzen und mehr Transparenz bei der Frontex-Tätigkeit einsetzen. Das Forum darf jedoch nur Empfehlungen zur Arbeit von FRONTEX geben. Es besitzt keine Entscheidungskompetenz.

Richtlinie für langfristig Aufenthaltsberechtigte: Mit einer EU-Änderungsrichtlinie, die am 20.5.2011 in Kraft getreten ist[12], wurde die seit November 2003 geltende EU-Daueraufenthaltrichtlinie[13] auf anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Geschützte erweitert. Die EU-Staaten mussten die Richtlinie bis zum 20.5.2013 in nationales Recht umsetzen.

Richtlinie über den EU-Flüchtlingsfonds[14]: Am 23.05.2007 haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union die Entscheidung zur Einrichtung des Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF) für den Zeitraum 2008 –2013 erlassen. Zweck des Fonds ist es, die Anstrengungen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen; Vertriebenen, und Personen, die sonstigen internationalen Schutz (subsidiären Schutz) genießen, und den sich daraus ergebenden Folgelasten durch Zuschussfinanzierung zu unterstützen und zu fördern. Die Verantwortung für die nationale Umsetzung des Europäischen Flüchtlingsfonds tragen die Mitgliedstaaten. Das Bundesministerium des Innern hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als zuständige Behörde zur Verwaltung des Europäischen Flüchtlingsfonds benannt Als Folge der Neufassung der Regeln soll dieser Fonds zukünftig mehr Geld bereit stellen für Resettlement-Projekte.

Die Regeln über den Flüchtlingsfonds und das Asylunterstützungsbüro werden von allen Mit­gliedstaaten akzeptiert mit Ausnahme Dänemarks. Die neugefassten Richtlinien bezüglich Qualifikation, Verfahren und Aufnahmebedingungen werden von Großbritannien, Irland und Dänemark nicht akzeptiert. Da Großbritannien und Irland aber die Qualifikations- und die Verfahrensrichtlinie in ihrer jeweils ersten Fassung akzeptiert hatten, bleiben sie an jene gebunden.

II. Veränderungen im Bereich der Dublin VO und der AsylverfahrensRL

1.            „Dublin III“

Schon der Vorschlag der EU-Kommission ließ die Frage der staatlichen Verantwortlichkeit für Flüchtlinge im Wesentlichen unberührt und schlug stattdessen eine Serie von Ergänzungen vor mit zwei Hauptrichtungen: Zum einen sollte die Effizienz des Systems verbessert, zum anderen das Schutzniveau für die Asylantragsteller/innen erhöht werden. Schon diese beiden Prinzipien stehen miteinander im Konflikt. In den folgenden Verhandlungen erwies sich ein weiteres Mal, dass es aus Sicht der Mitgliedstaaten einfacher ist, Maßnahmen zur Erhöhung der Effizienz des Systems zuzu­stimmen als den Schutzstandard für die Betroffenen zu erhöhen. Über längere Zeit wurde z.B der Kommissionsvorschlag diskutiert, eine Aussetzungsklausel für Überstellungen in andere Mitgliedstaaten in die VO aufzunehmen (Stichwort: Griechenland) – ohne am Ende eindeutig und klar umgesetzt zu werden.

Welche wesentlichen Neuerungen wird die Verordnung bringen?

Art 1 legt fest, dass sie nicht mehr wie bisher ausschließlich Asylanträge erfasst, sondern darüber hinaus auch Anträge von Personen, die subsidiären Schutz beantragen. Damit wird die Möglichkeit ausgeschlossen, die „Dublin“ –Verteilungsmechanismen dadurch zu umgehen, dass nur subsidiärer Schutz beantragt wird. Art. 18 Abs. 2 legt ferner ausdrücklich fest, dass in Fällen, in denen ein Antragsteller in einem Mitgliedstaat bereits einen Asylantrag gestellt hat und später dies in einem anderen erneut tut, der erste Mitgliedstaat, sofern er für die Durchführung des Verfahrens verantwortlich ist, den dort gestellten ersten Antrag nicht als zurückgenommen ansehen darf.

Artikel 3 Absatz 2 regelt zurUmsetzung des EuGH Urteils vom 21.12.2011 (C-411/10-N.S. und C-493/10-M.E), dass nicht in einen anderen Mitgliedstaat überstellt werden darf, wenn Menschenrechtsverletzungen dem Asylbewerber dort drohen. Vorausgesetzt wird, dass in dem anderen Mitgliedstaat Asylverfahren und Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufweisen, die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung i. S. d. Art. 4 EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. In diesem Fall geht, wenn nicht noch ein anderer zuständiger Staat gefunden werden kann, die Verantwortung für den Fall auf den Staat über, in dem der Asylantrag gestellt worden ist (Erwägungsgründe 22 und Art 33).

Zur Steigerung der Schutzstandards für die Antragsteller werden einige Regelungen neu eingeführt in den Bereichen Rechtsschutz, Familienzusammenführung, besonders schutzbedürftige Personen und Aufschub von Überstellungsentscheidungen. Im Einzelnen:

Art 4 sieht m Hinblick auf den Rechtsschutz ausdrücklich vor, dass die Informationen für die Antragsteller verbessert werden. Sie erhalten detaillierte Informationsrechte z.B. bezüglich der Einzelheiten und Konsequenzen des Verfahrens, dessen voraussichtlicher Dauer und ihre Rechtsschutzmöglichkeiten. Die Mitgliedstaaten können solche Informationen auch in Form eines „allgemeinen Flugblattes“ zur Verfügung stellen. Antragsteller/innen müssen über ihr Recht auf einen Antrag auf aufschiebende Wirkung des Transfers informiert werden sowie darüber, dass menschenrechtliche Bedenken einer Weiterleitung in einen anderen Staat entgegen stehen können.

Art. 5 garantiert die persönliche Anhörung („persönliches Gespräch“) im Dublin – Verfahren.

Art. 6 bestimmtzum Schutz Minderjähriger, dass das Wohl des Kindes in allen Verfahren, die in der Dublin – VO vorgesehen sind, eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten ist. (1). Sie sorgen dafür, dass ein unbegleiteter Minderjährige in allen Verfahren, die in der VO vorgesehen sind, von einem Vertreter vertreten und/oder unterstützt wird. Der Vertreter verfügt über die entsprechenden Qualifikationen undFachkenntnisse, um zu gewährleisteten, dass dem Wohl des Minderjährigen während der nach der VO durchgeführten Verfahren Rechnung getragen wird. Ein solcher Vertreter hat Zugang zum Inhalt der einschlägigen Dokumente in der Akte des Antragstellers ein­schließlich des speziellen Merkblatts für unbegleitete Minderjährige(2).

Art. 9 – 11: Eine der Schlüsselfragen der Neufassung war, ob Familienzusammenführung danach auszurichten sei, in welchem Staat der zeitlich letzte Asylantrag gestellt wurde – so der Vorschlag der Kommission. Die Neuregelung für Familienangehörige, die Begünstigte internationalen Schutzes sind, lautet jetzt: “Hat der Antragsteller einen Familienangehörigen– ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat–, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist?“.

Artikel 10: Familienangehörige, die internationalen Schutz beantragt haben: Hat ein Antragsteller in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, so ist dieser Mit­gliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun“.

Artikel 11: Familienverfahren: Stellen mehrere Familienangehörige und/oder unverheiratete min­derjährige Geschwister in dem­selben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durch­geführt werden können, und könnte die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben, so gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes:

a)    zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz sämtlicher Familien­angehöriger und/oder unverheirateter minderjähriger Geschwister ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils von ihnen zuständig ist;

b)    andernfalls ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten von ihnen gestellten Antrags zuständig ist.

Der Begriff Familienmitglied wird erweitert (Art. 2 h): Er umfasst Tante und Onkel sowie Großeltern.

Familienzusammenführung ist auch zu einem minderjährigen Geschwister möglich. Lassen sich für ein unbegleitetes Kind keine Familienmitglieder, Geschwister oder andere Verwandte im Dublin-Gebiet feststellen, ist der Mitgliedsstaat des Erstantrages zuständig (Art. 6 und 8 – 11).

Kontrovers war die Behandlung der Rechtsposition unbegleiteter Minderjähriger. In der bisherigen Fassung der VO war der Staat für die Behandlung des Antrages eines unbegleiteten Minderjährigen zuständig, in dem sich bereits Familienmitglieder legal aufhielten. War dies nicht der Fall, war der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag des Minderjährigen gestellt wurde. Diese Regel hat jedoch nicht klar festgestellt, ob sie sich nur auf den ersten Antrag des Minderjährigen bezieht oder auf den zeitlich jüngsten. Die neueste Entscheidung des EuGH dazu: zuständig ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Minderjährige aufhält, nachdem er dort Asyl beantragt hat (siehe dazu unten IV Rechtsprechung, Nr. 1 Urteil des EuGH vom 6. Juni 2013 – C-648/11).

Art. 8 dehnt den Vorrang des Kindeswohls auf Fälle aus, in denen der unbegleitete Minderjährige bereits verheiratet ist und sein oder ihr Ehegatte sich nicht legal in einem der Mitgliedstaaten aufhält. Gem. Art. 8 Abs. 2 ist der Mitgliedstaat zuständig für einen unbegleiteten Minderjährigen, in dem ein Verwandter sich legal aufhält, der in der Lage ist, für den Minderjährigen zu sorgen.

Art. 16: schwierig war weiter, die Bedingungen gegenüber der ersten Fassung der VO zu konkretisieren bezüglich abhängiger schutzbedürftiger Verwandter. Dabei geht es insbesondere um Fälle, in denen z.B. aufgrund einer ernsthaften Erkrankung, eines schweren Handicaps, einer erst kurz zurück­liegenden Geburt, bestehender Schwangerschaft oder vorgerückten Lebensalters Mitgliedstaaten verpflichtet sein sollen, „normalerweise“ die Antragsteller und ihre Verwandten zusammenzuführen, sofern die Familie im Herkunftsland bereits zusammengelebt hat. Der neu gefasste Art. 16 Abs. 2 legt nun fest, dass es sich dabei entweder um ein Kind, Geschwister oder Elternteil handeln muss und die Person, mit der zusammengeführt wird, in jenem Aufenthaltsstaat sich legal aufhält. Beide Änderungen führen daher zu restriktiveren Regelungen als zuvor und widersprechen der Rechtsprechung des EuGH (z.B. C-245/11K, in der akzeptiert wurde, dass auch eine Schwiegermutter zu den Familienmitgliedern zählt).

Art. 19 Abs. 2 und Abs. 3 sowie 20 Abs. 4 führen eine klarstellende Regel dazu ein, welcher Mitgliedstaat nachweisen muss, dass die Verteilungsregeln der Verordnung nicht mehr angewendet werden können, weil ein Antragsteller das gesamte Gebiet der Unionsstaaten für eine Periode, die länger als drei Monate gedauert hat, bereits verlassen oder eine Aufenthaltsgenehmigung von einem anderen Mitgliedstaat erhalten hat. Festgelegt wird ferner, was geschehen soll, wenn nach Verlassen des Territoriums und anschließendem Wiedereintritt in das Unionsgebiet ein neuer Antrag gestellt wird.

Art. 21 Abs. 1: Es wird eine kürzere „Deadline“ (zwei Monate statt drei) festgelegt, innerhalb derer der andere Mitgliedstaat die Verantwortung übernehmen muss für einen Antragsteller falls einen „Treffer“ im Eurodac-System festgestellt wurde.

Art. 23 Abs. 2 und § 24 Abs. 2: DieDeadlines“ für die erste Anfrage an den anderen Mitgliedstaat, den Antragsteller zurück zu überstellen, werden verkürzt.

Art 27: effektiver Rechtsschutz: Die Neufassung sieht ausdrücklich das Recht zu effektivem Rechtsschutz vor einem Gericht oder einem Tribunal vor (Art. 27) und gewährt detailliertere Verfahrensrechte (Art. 26). Es muss wenigstens ein beschränkter Suspensiveffekt (Art 27 Abs. 3 a c)bestehen.Das Parlament hatte vorgeschlagen, in Art. 3 Abs. 2 eine Klausel aufzunehmen, mit der die Rechtsprechung des EuGH umgesetzt werden sollte im Hinblick auf die Einräumung eines generellen Suspensiveffekts von Rechtsmitteln. Der Rat hat das jedoch nicht akzeptiert. Geändert wurden stattdessen in Art. 33 einige Details bezüglich genauerer Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten, ein Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz durchzuführen und die Menschenrechtssituation genauer zu beachten.

Art 27 Abs. 6. sieht Regeln zur Gewährung von Prozesskostenhilfe vor. Während der Europäische Rat diese Regeln möglichst weit „herunterfahren“ wollte, konnten sie durch die Intervention des Europäischen Parlaments etwas verstärkt werden.

Art. 28 : Die Inhaftierung im Rahmen von Dublin – Verfahren wird ebenfalls neu geregelt. Im Wortlaut:

(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3) Die Haft hat so kurz wie möglich und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungs­weise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird“

Wird eine Person in Haft genommen, darf die Frist für ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab Antragstellung nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren durch­führt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Befindet sich eine Person in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat. Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme– oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen statt, darf die Person nicht länger inhaftiert bleiben.

Art. 28 Abs. 4: Für die Ausgestaltung der Haft wird Bezug genommen auf Art 8 – 11 der AufnahmebedingungsRL. Dort vorgesehene Rechtsschutzgarantien sollen auch im Dublin-Verfahren gelten.

Art. 29 Abs. 3: Wenn ein Antragsteller infolge eines Irrtums von einem ersten Mitgliedstaat weiter transferiert wurde oder sein Rechtschutzersuchen nach einer Weiterleitung noch im Nachhinein Erfolg hatte, muss die Person vom Erstaufnahmestaat zurückgenommen werden.

Zur „Effizienzsteigerung“ des Dublin – Verfahrens werden neue Regeln eingeführt bezüglich der Verfahrenskosten (Art. 30) und bezüglich des Informationsaustausches bevor ein Transfer durchgeführt wird (Art. 31 und 32). Die bereits bestehenden Regeln zum Informationsaustausch (Art. 34 Abs. 5 und Abs. 9) und zur Kooperation zwischen den nationalen Asylbehörden (Art. 36 Abs. 2 und Abs. 4) wurden klarer gefasst. Ferner werden z.B. eindeutige Voraussetzungen festgelegt über die Veröffentlichung von Listen, welche nationalen Behörden jeweils zuständig sind und welche Voraussetzungen diese im Hinblick auf die Fortbildung ihrer MitarbeiterInnen erfüllen müssen (Art. 35 Abs. 2 und Abs. 3). Neue Regeln zum Datenschutz wurden eingeführt (Art. 38), ebenso zur Vertraulichkeit (Art. 39), zu Strafen (Art. 40) und zur Statistik (Art. 47). Geändert wurden die Regeln zu Verfahren, wie Rechtsänderungen implemen­tiert werden (Art. 44, 45 und 48).

Insgesamt überrascht, wie wenig die Erfahrungen mit den bekannten Unzuträglichkeiten bei der Durchführung der VO bei den Änderungen berücksichtigt sowie über die fundamentalen Prinzipien des Systems neu nachgedacht wurde, obwohl bekannt ist, dass die bisherige Praxis zu Men­schenrechtsverletzungen geführt hat. Selbst der Kommissionsvorschlag, Verfahren automatisch auszusetzen, wenn ein Staat eine Situation wie in Griechenland festgestellt wird, wurde vom Euro­päischen Rat zurückgewiesen. Es ist dabei geblieben, dass die Gerichte über derartige Symptome von Staaten zu entscheiden haben und so im Einzelfall die Anwendung modifizieren können.

Positiv hervorzuheben ist, dass die Informationsrechte von Asylsuchenden verbessert, Recht­schutzmechanismen gegen „Dublin“- Entscheidungen verbindlich vorgeschrieben und Regeln zur Haft in die VO integriert wurden.

Dies kompensiert aber nicht die grundsätzlichen Mängel des Systems und den offenbaren politischen Unwillen des Rates, diese zu beseitigen. Signifikante Änderungen bei der Anwendung werden daher weiterhin wohl nur als Folge von Einzelfallentscheidungen des EGMR und des EuGH zu erwarten sein.

Am 07. März hatte die „Memorandumsgruppe“ der Wohlfahrtsverbände anlässlich einer Sitzung des Rates für Justiz und Inneres am 07. und 08. März, in der über den Ausbau von Grenzkontrollen verhandelt wurde, ein neues Memorandum vorgelegt: „Flüchtlingsaufnahme in der europäischen Union: Für ein gerechtes und solidarisches System der Verantwortlichkeit“. Hauptforderung: Das bisher maßgebliche Kriterium für die Asylzuständigkeit, der „Ort der illegalen Einreise“ solle ge­strichen und ersetzt werden durch das „Prinzip der freien Wahl des Mitgliedstaates“. Der neue Text der „Dublin III-VO“, sieht einen derartigen „Systemwechsel“ bedauerlicherweise nicht vor.

2.      Eurodac-Verordnung

In dieser Verordnung geht es vor allem um den Abgleich von Fingerabdrücken. Sie „unterstützt“ die Durchführung der „Dublin III“ –VO insofern als ein „Treffer“ ( englisch: „Hit“) festgestellt wird, wenn aufgrund des Abgleichs der Fingerabdrücke festgestellt wird, dass bereits in einem anderen Staat früher ein Asylantrag gestellt wurde. Die Hauptänderung der neu gefassten Verordnung besteht darin, dass auch Polizei- und Sicherheitsbehörden Zugriff auf die Eurodac-Dateien erhalten (Art. 1 Abs. 2, 6, 7, 19 – 22, 33 und 36). Diese Änderung stellt eine deutliche Verschlechterung dar und wurde stark von der europäischen Datenschutzagentur und verschiedenen NGO’s kritisiert. Das hat jedoch am politischen Willen insbesondere des EU – Rates, diese erweiterten behördlichen Zugriffsmöglichkeiten einzuführen, nichts geändert.

Eine weitere Verschlechterung kann darin gesehen werden, dass Fingerabdrücke auch nach Flüchtlingsanerkennung oder Gewährung subsidiären Schutzes für weitere drei Jahre genutzt werden dürfen (Art. 18 Ziff 1a). Diese Periode ist abgestimmt auf den Dreijahreszeitraum der Aufenthaltserlaubnis, die anerkannte Flüchtlinge zunächst erhalten. Der „Schutz“, der dadurch entsteht, dass ein Dreijahreslimit vereinbart wurde, nach dessen Ablauf Eurodac-Daten nicht mehr verwendet werden dürfen, bedeutet aber nicht, dass nach diesem Zeit­punkt keine Fingerabdruckabgleiche mehr im Bedarfsfalle möglich sein werden, wenn sie nicht gelöscht sind. Widersprüchlich erscheint insoweit, dass einerseits die Behörden das Recht haben, bei Personen, die subsidiären Schutz erhalten, für drei Jahre Fingerabdrücke abzugleichen, während diese Personengruppe zunächst nur eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr erhält.

3.         Asylverfahrensrichtlinie

Folgende wesentliche Änderungen enthält der neugefasste Text:

Art 1 und 3: Das Asylverfahren gilt sowohl für Anträge auf Flüchtlingsanerkennung wie auf (subsidiären) Abschiebungsschutz („Antrag auf internationalen Schutz“).

Art 3 Abs. 1:Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, auch Schutzbegehren entgegenzunehmen und zu bearbeiten, die in ihren territorialen Gewässern und an Grenzübergängen gestellt werden.

Art. 6: neue Regeln gelten für den Zeitpunkt des Beginns des Asylverfahrens, insbesondere nur noch eine Dreitagesfrist zur Registrierung eines Asylantrages und Definition, wann der Antrag als „gestellt“ angesehen werden muss.

Art. 7 Abs. 3 und 4: erweiterte Möglichkeiten für Asylanträge betreffend Kinder.

Art 8, 12 und 19: Asylsuchende müssen in einer Sprache, die sie verstehen oder von der zulässi­gerweise angenommen wird, dass sie sie verstehen, über das Asylverfahren und ihre Rechte und Pflichten darin informiert werden. Es gibt eine neue Vorschrift zur Information bei Asylanträgen an der Grenze (das Parlament hat hier erreicht, dass Rechtsberatung in dieser Situation nicht unmög­lich gemacht oder sehr erschwert werden darf).

Art. 9: Abschiebung darf nur stattfinden in ein Drittland, sofern eindeutig geklärt ist, dass der Asylsuchende dadurch nicht in Gefahr steht, weiteres Refoulement zu erleiden.

Art. 10 Abs. 2: Ein Antrag auf den Flüchtlingsstatus muss vor dem Antrag auf subsidiären Schutz geprüft werden. Es sollen auch Informationen über Menschenrechte sowie sachverständige Hin­weise auf kulturelle und religiöse Riten und Gebräuche in die Prüfung einbezogen werden. Das Parlament konnte den Rat nicht davon überzeugen, dass auch die sexuelle Orientierung mit in den Katalog der zu prüfenden Umstände aufgenommen werden müsse.

Art. 10 Abs. 5: Es besteht eine Verpflichtung zur Übersetzung von Dokumenten.

Art. 12: Antragsteller müssen über die Konsequenzen einer Rücknahme des Antrages informiert werden. Sie erhalten ferner eine erweiterte Möglichkeit, Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen und die Informationen zu prüfen, die in Betracht gezogen wurden, als die Entscheidung getroffen wurde (Art. 12 Abs. 1). Dieselben Informationsmöglichkeiten müssen Rechtsberatern zur Ver­fügung stehen (Art. 23 Abs. 1).

Art 16: In der Anhörung müssen Antragsteller auf Widersprüchlichkeiten und Lücken hingewiesen werden und diese korrigieren können.

Art 17 Abs. 2: Von Anhörungen dürfen Ton- und Bildaufzeichnungen gemacht werden; diese kön­nen auch ein schriftliches Protokoll ersetzen.

Art 19 – 23 befassen sich mit der Rechtsberatung und -vertretung der antragstellenden Personen. Wegen der Bedeutung dieser Bestimmungen für die Anwaltschaft und die in der Rechtsberatung tätigen Organisationen sind diese Artikel nachfolgend hier im Wortlaut abgedruckt:

Artikel 19
Unentgeltliche Erteilung von Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften
in erstinstanzlichen Verfahren

(1) In den erstinstanzlichen Verfahren nach Kapitel III gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass den Antragstellern auf Antrag unentgeltlich rechts und verfahrenstechnische Auskünfte erteilt werden; dazu gehören mindestens Auskünften zum Verfahren unter Berücksichti­gung der besonderen Umstände des Antragstellers. Im Fall einer ablehnenden Entschei­dung zu einem Antrag im erstinstanzlichen Verfahren erteilen die Mitgliedstaaten dem Antragsteller auf Antrag zusätzlich zu den Auskünften nach Artikel 11 Absatz 2 und Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe f Auskünfte über die Gründe einer solchen Entscheidung und erläutern, wie die Entscheidung angefochten werden kann.

(2) Die unentgeltliche Erteilung von Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften erfolgt nach Maßgabe des Artikels 21.

Artikel 20
Unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung in Rechtsbehelfsverfahren

(1)       Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Rechtsbehelfsverfahren nach Kapitel V auf Antrag unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung gewährt wird. Diese umfasst zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Teilnahme an der Verhandlung vor einem erstinstanzlichen Gericht im Namen des Antragstellers.

(2) Die Mitgliedstaaten können auch in den erstinstanzlichen Verfahren nach Kapitel III unentgeltliche Rechtsberatung und/oder -vertretung gewähren. In diesem Fall findet Artikel 19 keine Anwendung.

(3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung nicht gewährt wird, wenn der Rechtsbehelf des Antragstellers nach Einschätzung des Gerichts oder einer anderen zuständigen Behörde keine konkrete Aussicht auf Erfolg hat.

Wird die Entscheidung, dass keine unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung gewährt wird, nicht von einem Gericht getroffen, so gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass der An­tragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung vor einem Gericht hat.

In Anwendung dieses Absatzes stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Rechtsberatung und -vertretung nicht willkürlich eingeschränkt und der Antragsteller nicht an der effektiven Wahrnehmung seiner Rechte gehindert wird.

(4) Die unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung erfolgt nach Maßgabe des Artikels 21.

Artikel 21
Voraussetzungen für die unentgeltliche Erteilung von Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften sowie für die unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung

(1) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Nichtregierungsorganisationen, Fachkräfte von Behörden oder spezialisierte staatliche Stellen die unentgeltlichen Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünfte gemäß Artikel 19 erteilen.

       Die unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung nach Artikel 20 erfolgt durch nach nationa­lem Recht zugelassene oder zulässige Personen.

(2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünfte gemäß Artikel 19 und die Rechtsberatung und -vertretung gemäß Artikel 20 unentgeltlich nur erfolgt:

a) für Personen, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen und/oder

b) im Falle von Dienstleistungen von Rechtsanwälten oder sonstigen Rechtsberatern, die nach nationalem Recht eigens zur Unterstützung und Vertretung von Antragstellern bestimmt wurden.

Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung nach Artikel 20 nur gewährt wird für Rechtsbehelfsverfahren gemäß Kapitel V vor einem erst­instanzlichem Gericht und nicht für weitere im nationalen Recht vorgesehene Rechtsbehelfe oder Überprüfungen, einschließlich erneuter Anhörungen oder Rechtsbehelfsüberprüfungen.

Die Mitgliedstaaten können ferner vorsehen, dass die unentgeltliche Rechtsberatung und -ver­tretung gemäß Artikel 20 nicht für Antragsteller gewährt wird, die sich in Anwendung des Arti­kels 41 Absatz 2 Buchstabe c nicht mehr in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten.

(3) Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten für die Stellung und Bearbeitung von Anträgen auf unentgeltliche rechts- und verfahrenstechnische Auskünfte gemäß Artikel 19 und auf unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung gemäß Artikel 20 festlegen.

(4) Ferner können die Mitgliedstaaten

a)   für die unentgeltliche Erteilung von rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften gemäß Artikel 19 und die unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung gemäß Artikel 20 eine finanzielle und/oder zeitliche Begrenzung vorsehen, soweit dadurch der Zugang zu unent­geltlichen Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften und zu unentgeltlicher Rechtsberatung und ‑vertretung nicht willkürlich eingeschränkt wird;

b)            vorsehen, dass Antragstellern hinsichtlich der Gebühren und anderen Kosten keine günstigere Behandlung zuteil wird, als sie ihren Staatsangehörigen in Fragen der Rechtsberatung im Allgemeinen gewährt wird.

(5) Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass der Antragsteller ihnen die entstandenen Kosten ganz oder teilweise zurückerstattet, wenn sich seine finanzielle Lage beträchtlich verbessert hat oder wenn die Entscheidung zur Übernahme solcher Kosten aufgrund falscher Angaben des Antragstellers getroffen wurde.

Artikel 22
Anspruch auf Rechtsberatung und –vertretung in allen Phasen des Verfahrens

(1)     Antragsteller erhalten in allen Phasen des Verfahrens, auch nach einer ablehnenden Entscheidung, effektiv Gelegenheit, auf eigene Kosten einen Rechtsanwalt oder sonstigen nach nationalem Recht zugelassenen oder zulässigen Rechtsberater in Fragen ihres Antrags auf internationalen Schutz zu konsultieren.

(2) Die Mitgliedstaaten können Nichtregierungsorganisationen erlauben, Antragstellern in den Verfahren nach den Kapiteln III und V Rechtsberatung und/oder -vertretung im Einklang mit nationalem Recht zu gewähren.

Artikel 23
Umfang der Rechtsberatung und -vertretung

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Rechtsanwalt oder ein sonstiger nach nationalem Recht zugelassener oder zulässiger Rechtsberater, der einen Antragsteller gemäß den natio­nalen Rechtsvorschriften unterstützt oder vertritt, Zugang zu den Informationen in der Akte des Antragstellers erhält, auf deren Grundlage über den Antrag entschieden wurde oder entschieden wird.Die Mitgliedstaaten können hiervon abweichen, wenn die Offenlegung von Informationen oder Quellen die nationale Sicherheit, die Sicherheit der Organisationen oder Personen, von denen diese Informationen stammen, oder die Sicherheit der Personen, die die Informationen betreffen, gefährden oder wenn die Ermittlungsinteressen im Rahmen der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder die internationalen Beziehungen der Mitgliedstaaten beeinträchtigt würden. In diesen Fällen

a)            gewähren die Mitgliedstaaten den staatlichen Stellen gemäß Kapitel V Zugang zu den be­treffenden Informationen oder Quellen und

b) legen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht Verfahren fest, mit denen gewährleistet wird, dass die Verteidigungsrechte des Antragstellers geachtet werden.

       Hinsichtlich der Regelung in Buchstabe b können die Mitgliedstaaten insbesondere einem Rechts­anwalt oder sonstigen Rechtsberater, der einer Sicherheitsprüfung unterzogen wurde, Zugang zu diesen Informationen oder Quellen gewähren, soweit diese Informatio­nen für die Prüfung des Antrags oder für die Entscheidung zur Aberkennung des internationalen Schutzes relevant sind.

(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Rechtsanwalt oder sonstige Rechtsberater, der einen Antragsteller unterstützt oder vertritt, gemäß Artikel 10 Absatz 4 und Artikel 18 Absatz 2 Buchstaben b und c der Richtlinie …/…/EU zum Zweck der Beratung des Antragstellers Zugang zu abgeschlossenen Bereichen, wie Gewahrsamseinrichtungen oder Transitzonen, erhält.

(3) Die Mitgliedstaaten gestatten einem Antragsteller, sich bei der persönlichen Anhörung von einem Rechtsanwalt oder sonstigen nach nationalem Recht zugelassenen oder zulässigen Rechtsberater begleiten zu lassen.

       Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass der Rechtsanwalt oder sonstige Rechtsberater erst am Schluss der persönlichen Anhörung eingreifen darf.

(4)     Unbeschadet des vorliegenden Artikels oder des Artikels 25 Absatz 1 Buchstabe b können die Mitgliedstaaten Vorschriften für die Anwesenheit eines Rechtsanwalts oder sonstigen Rechtsberaters bei allen Anhörungen im Rahmen des Verfahrens festlegen.

       Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass der Antragsteller auch dann bei der persönlichen Anhörung anwesend ist, wenn er sich nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften von einem Rechtsanwalt oder sonstigen Rechtsberater vertreten lässt; ferner können sie verlangen, dass der Antragsteller die Fragen persönlich beantwortet.

       Unbeschadet des Artikels 25 Absatz 1 Buchstabe b kann die zuständige Behörde eine persönliche Anhörung des Antragstellers auch dann durchführen, wenn der Rechtsanwalt oder Rechtsberater nicht daran teilnimmt.

Art 24: Die spezifischen Bedürfnisse von Folteropfern und anderen vulnerablen Personen sollen im Asylverfahren stärker berücksichtigt werden. Sie sollen i.d.R. nicht beschleunigten Verfahren un­terworfen werden. Um ihre Vulnerabilität festzustellen, sollen antragstellende Personen “innerhalb eines angemessenen Zeitraums“ medizinisch untersucht werden. Diese Untersuchung kann auch durch Amtsärzte erfolgen. Asylsuchende können aber weiterhin nicht verlangen, dass sie durch einen Arzt ihres Vertrauens untersucht werden.

Art 25 Abs. 5: Für die Altersfeststellung bei unbegleiteten Minderjährigen gilt bei unaufhebbarem Zweifel die Altersangabe des Betroffenen.

Art 31: Zur Bearbeitung von Asylanträgen in der Verwaltungsinstanz gelten zukünftig Höchst­fristen: grundsätzlich soll die Bearbeitung innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden. Bei komplizierten Fällen oder besonders starker Belastung der Behörden gilt eine Frist von 15 Monaten. Nur in besonders zu begründenden Ausnahmefällen darf die Bearbeitung 18 Monate dauern. Ist die Situation im Herkunftsland instabil, kann das Asylverfahren ausgesetzt werden; es muss aber in jedem Fall bei Ablauf von 21 Monaten in der Verwaltungsinstanz abgeschlossen sein.

Art 31 Abs. 8 enthält eine Fülle von Gründen, aus denen ein beschleunigtes Verfahren oder ein „Grenzverfahren“ ( i.e. in Deutschland: Flughafenverfahren) zulässig ist. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Artikel 43 durchgeführt wird, wenn

a) der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind, oder

b) der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne dieser Richtlinie kommt, oder

c) der Antragsteller die Behörden durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität und/oder Staatsangehörigkeit, die sich negativ auf die Entschei­dung hätten auswirken können, getäuscht hat, oder

d) angenommen werden kann, dass der Antragsteller ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat, oder

e) der Antragsteller eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gemacht hat, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen, so dass die Begründung für seine Behauptung, dass er Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU anzusehen ist, offensichtlich nicht überzeugend ist;

f) der Antragsteller einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der gemäß Artikel 40 Absatz 5 nicht unzulässig ist, oder

g) der Antragsteller den Antrag nur zur Verzögerung oder Behinderung der Voll­streckung einer bereits getroffenen oder unmittelbar bevorstehenden Entscheidung stellt, die zu seiner Abschiebung führen würde, oder

h) der Antragsteller unrechtmäßig in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats eingereist ist oder seinen Aufenthalt unrechtmäßig verlängert hat und es ohne stichhaltigen Grund versäumt hat, zum angesichts der Umstände seiner Einreise frühestmöglichen Zeitpunkt bei den Behörden vorstellig zu werden oder einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, oder

i) der Antragsteller sich weigert, der Verpflichtung zur Abnahme seiner Finger­abdrücke gemäß der Verordnung „Eurodac“ für den Abgleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung der „Dublin“ – VO Verordnung nachzukommen, oder

j) es schwerwiegende Gründe für die Annahme gibt, dass der Antragsteller eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Mitgliedstaats darstellt oder er aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung nach nationalem Recht zwangsausgewiesen wurde.

Art 36 – 39: Die Mitgliedstaaten dürfen Listen „sicherer“ Drittstaaten und „sicherer“ Herkunftsländer beibehalten oder einführen; Asylsuchende müssen aber die Regelvermutung der Sicherheit in ihrem Einzelfall widerlegen können. Die europäische Liste „super sicherer“ Drittstaaten wird abgeschafft. Bei der Drittstaatenregelung sind zwei Möglichkeiten vorgesehen: Im konkreten Fall kann geprüft werden, ob ein Antragsteller in einem anderen Staat bereits Schutz vor Verfolgung und Zugang zu einem Asylverfahren hat (Art. 38). Oder: Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass keine oder keine umfassende Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz und der Sicherheit des Antragstellers in seiner spezifischen Situation erfolgt, wenn eine zuständige Behörde anhand von Tatsachen festgestellt hat, dass der Antragsteller aus einem sicheren Drittstaat unrechtmäßig in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats einzureisen versucht oder eingereist ist (Artikel 39 – „Konzept des sicheren europäischen Drittstaats“).

Artikel 43 Verfahren an der Grenze: Die Mitgliedstaaten können an der Grenze oder in Transitzonen des Mitgliedstaats entscheiden über a) die Zulässigkeit eines an derartigen Orten gestellten Antrags gemäß Artikel33 und/oder b) die Begründetheit eines Antrags in einem Verfahren nach Artikel 31 Absatz 8. Sie stellen sicher, dass eine Entscheidung im Rahmen der Verfahren nach Absatz 1 innerhalb einer angemessenen Frist ergeht. Ist innerhalb von vier Wochen keine Entscheidung ergangen, so wird dem Antragsteller die Einreise in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats gestattet, damit sein Antrag nach Maßgabe der anderen Bestimmungen dieser Richtlinie bearbeitet werden kann.Wenn es aufgrund der Ankunft einer erheblichen Anzahl von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen an der Grenze oder in Transitzonen, die förmlich Anträge auf internationalen Schutz stellen, in der Praxis nicht möglich ist, die Bestimmungen des Absatzes 1 anzuwenden, können die Verfahren auch in diesen Fällen und für die Zeit angewandt werden, in der die Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen normalerweise in der Nähe der Grenze oder Transitzone untergebracht werden.

Vorläufige Einschätzung der Neufassung:

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die revidierte Richtlinie Verbesserungen enthält insbesondere für den Zugang zum Verfahren, die Standards, die während des Verwaltungsverfahrens und der Entscheidung zu beachten sind, der Umfang der Rechtsprüfung, das Recht, im Territorium sich weiterhin aufzuhalten, solange das Verfahren anhängig ist, die Standards in besonderen Verfahrensweisen, Reduktionen einer ganzen Reihe von Ausnahmen und Änderungen in der Komplexität des Systems (Ausnahme: Opfer von Folter und unmenschlicher Behandlung und unbegleitete Minderjährige – insoweit sind die Bestimmungen in hohem Grade unklar und z.T. auch unlesbar. Zum Beleg eine Leseprobe aus Art 24 Abs. 3: Wird festgestellt, dass Antragsteller besondere Verfahrensgarantien benötigen, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Antragsteller angemessene Unterstützung erhalten, damit sie während der Dauer des Asylverfahrens die Rechte aus dieser Richtlinie in Anspruch nehmen und den sich aus dieser Richtlinie ergebenden Pflichten nachkommen können. Kann eine solche angemessene Unterstützung nicht im Rahmen der Verfahren nach Artikel 31 Absatz 8 und Artikel 43 geleistet werden, insbesondere wenn die Mitglied­staaten der Auffassung sind, dass der Antragsteller besondere Verfahrensgarantien benötigt, da er Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten hat, so wenden die Mitgliedstaaten Artikel 31 Absatz 8 und Artikel 43 nicht oder nicht mehr an. Wenden die Mitgliedstaaten Artikel 46 Absatz 6 auf Antragsteller an, auf die Artikel 31 Absatz 8 und Artikel 43 nach dem vorliegenden Unterabsatz nicht angewandt werden können, so gewähren sie zumindest die Garantien gemäß Artikel 46 Absatz 7).

Es bleibt jedoch bei dem Hauptmangel der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten weite Möglichkeiten zur Ermessensausübung haben und relativ niedrige Standards beibehalten können im Hinblick z.B. auf die besonderen Verfahren für schutzbedürftige Personen. Insofern wird ein „gemeinsamer“ europäischer Ansatz in der Verwaltungspraxis der Staaten kaum zu erwarten sein. Darüber hinaus zeigt die Möglichkeit in Art 36 – 39, dass jeder Mitgliedstaat eine Liste „sicherer Drittstaaten für sich beibehalten oder sogar neu einführen kann, dass der „gemeinsame europäische“ Standard insoweit sogar gesenkt wurde. Die Frage, ob die Liste beschleunigter Verfahren gem. Art 31 Abs. 8 abschließend ist oder weitere nationale Gründe hinzugefügt werden können, bleibt unbeantwortet. Die Frage des Zugangs zum Territorium bleibt Sache der nationalstaatlichen Grenzkontrollbehör­den. Auch ist keine substantielle Verbesserung der Regeln zur Gewährung von Prozesskostenhilfe erkennbar. Erhalten bleiben die Schwierigkeiten beim Zugang zu sozialen Ansprüchen.

III.Erster Versuch einer ersten Gesamtschau der Neuregelungen

Die „Rechtsetzung der zweiten Phase“ enthält nur insofern Verbesserungen für Asylantragsteler, als einige der Aufnahmebedingungen und Verfahrensregeln (z.B. verbindliche Einführung persönlicher Anhörungen) geändert werden. Im Hinblick auf die „Dublin-III“-VO liegen substantielle Verbesserung wohl vor allem in der verbindlichen Verpflichtung zur Gewährung von effektivem Rechtsschutzverpflichtungen und der – wenn auch recht weichen – Vorgabe behördlicher Bearbeitungszeiten.

Eine signifikante Verschlechterung bedeutet hingegen in der Eurodac-Verordnung die Zugriffsmög­lichkeit für die Polizei- und Sicherheitsbehörden auf die Eurodac-Dateien. Auch die umfangreichen Vorschiften über Inhaftierungen selbst für Minderjährige in der RL Aufnahmebedingungen ist ein Rückschritt, selbst wenn die Vorschriften in der Verwaltungspraxis Ausnahmecharakter haben: Wenn sie ohnehin so gut wie nie angewandt werden, wären sie verzichtbar gewesen.

Die neue Gesetzgebung ist auch an vielen Stellen nicht in sich kohärent. So bleibt z.B. das Recht anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter, „long term resident“ in der EU zu werden, dadurch praktisch ausgeschlossen, dass der Schutzstatus nicht in den anderen Staat, in den man übersiedeln möchte, mitgenommen werden kann.

Zwar erklärte die zuständige EU-Kommissarin Malmström am 27. März, es sei ein „Durchbruch“ nach fünf Jahren erzielt worden. Tatsächlich blieben jedoch weiterreichende Vorstellungen, die von der EU-Kommission ursprünglich vorgeschlagen worden waren, in ihren Entwürfen im Verhand­lungsmarathon stecken. Das Rechtsetzungsverfahren im sog. „Trilog“ zwischen Parlament, Kommission und Rat war – wie leider seit Langem üblich – intransparent, insbesondere die Verhandlungen im Rat entziehen sich weiterhin weitestgehend öffentlicher Kontrolle.

Der britische Kollege Steve Peers beschreibt zusammenfassend etwa die Änderungen bezüglich Eurodac und Dublin-III als nur kosmetisch. Es handele sich um „lipstick on a pig“[15].

Es wird darauf ankommen, zukünftig ein effektiveres Monitoring zur Umsetzung der Rechtsinstrumente durchzuführen. Man wird auch weiterhin nicht umhin kommen, sehr deutlich darauf aufmerksam zu machen, wo sich Schutzlücken zeigen und Fragen zur menschen- und flüchtlingsrechtlichen Verantwortung von Staaten ungeklärt geblieben sind oder bleiben werden.

IV.            Interessante Rechtsprechung neuerer Zeit

Vorbemerkung: Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass ein sehr übersichtlich gestalteter, aktueller und kompetent ausgeführter Überblick über neueste Rechtsprechung der europäischen Gerichte im „Weekly Legal Update“ zu finden ist, welches von ELENA herausgegeben wird. Es kann unentgeltlich abonniert werden (e-mail: Daniel Toda Castan (dtoda@ecre.org) oder Julia Zelvenska (jzelvenskaya@ecre.org).

1.    EuGH-Urteil vom 06.06.2013 (C-648/11)

         Am 6 Juni erließ der EuGH eine bedeutsames Urteil (C-648/11) für die Praxis bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen: „Minderjährigenschutz“ geht dem Vollzug des DublinVerfahrens“ vor, wenn keine Entscheidung über (Erst-)Antrag vorliegt: Zwei Minderjährige eritreischer Staatsangehörigkeit (MA und BT) und ein Minderjähriger iraki­scher Staatsangehörigkeit (DA) stellten im Vereinigten Königreich Asylanträge. Kein Angehöri­ger ihrer Familien hielt sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat der Union auf. Die britischen Behörden stellten fest, dass die Antragsteller bereits Asylanträge in anderen Mitgliedstaaten gestellt hatten, nämlich in Italien (MA und BT) und in den Niederlanden (DA). Daher wurde entschieden, die Minderjährigen in diese Staaten zu überstellen, da diese als für die Prüfung ihrer Asylanträge zuständig betrachtet wurden. Ist der Asylbewerber ein unbe­gleiteter Minderjähriger, sieht die Verordnung vor, dass derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, so­fern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.

In Ermangelung eines Familienangehörigen ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des An­trags zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat; in der Verordnung wird jedoch nicht klargestellt, ob es sich hierbei um den ersten Antrag handelt, den der Min­derjährige in einem Mitgliedstaat gestellt hat, oder den Antrag, den er zuletzt in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat. Zu klären ist jedoch, ob das in diesen drei Fällen erreichte Ergebnis – das Resultat einer Ermessensentscheidung des Vereinigten Königreichs –gemäß dieser Verordnung zwingend ist.

In seinem Urteil stellt der EUGH fest, dass, wenn ein unbegleiteter Minderjähriger, der keinen sich in der Europäischen Union rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat, gem. Art. 6 Dublin – VO in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, der für die Prüfung zuständige Mitgliedstaat derjenige ist, in dem sich dieser Minder­jährige aufhält, nachdem er dort einen Antrag gestellt hat.

Dieses Ergebnis folge aus Kontext und Ziel der VO, mit der ein effektiver Zugang zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers gewährleistet werden soll, wobei sie unbegleiteten Minderjährigen besondere Aufmerksamkeit widmet. Da unbegleitete Minderjährige eine Kategorie besonders gefährdeter Personen bilden, sei es wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht länger als unbedingt nötig hinziehe, was bedeute, dass unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen sind.

Diese Erwägungen werden durch das Erfordernis der Beachtung der Grundrechte der Europä­ischen Union bestätigt. Hierzu gehört, dass das Wohl des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen eine vorrangige Erwägung sein muss. Im Interesse unbegleiteter Minderjähriger ist es folglich wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht unsachgemäß in die Länge zieht; ihnen ist vielmehr ein rascher Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Der Gerichtshof stellt klar, dass eine solche Auslegung nicht bedeutet, dass der unbegleitete Minderjährige, dessen Asylantrag in einem ersten Mitgliedstaat in der Sache zurückgewiesen wurde, anschließend einen anderen Mitgliedstaat zur Prüfung eines Asyl­antrags zwingen könnte. Die Mitgliedstaaten müssen nicht prüfen, ob der Antragsteller ein Flüchtling ist, wenn ein Antrag deshalb als unzulässig betrachtet wird, weil der Asylbewerber nach einer gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Entscheidung einen identischen Antrag gestellt hat.

2.EGMR-Beschluss vom 13.02.2013 (81498/12)

         Der EGMR stoppte vorläufig eine Abschiebung von Deutschland nach Italien mit Beschluss vom 13.02.2013 (81498/12). Es ging um ein somalisches Ehepaar mit drei kleinen Kindern (Zwillinge im Alter von 10 Monaten und ein weiteres Kind 2 Jahre). Das VG Kassel und das Bundesverfassungsgericht hatten die Abschiebung für zulässig erklärt. Das Ehepaar war im April 2011 mit ihrem wenige Monate alten ersten Kind über Lampedusa/Italien in die EU ein­gereist. Im dortigen Auffanglager fehlte es nach der Schilderung des Ehepaares u. a. an Gesundheits- und Nahrungsmittelversorgung für das Baby. Im Januar 2012 wurde die Familie zu einem Zeitpunkt, zu dem die Familienmutter mit Zwillingen im 7. Monat schwanger war, nach Erreichen der maximal zulässigen Aufenthaltsdauer aus der Aufnahmeeinrichtung ent­lassen. Daraufhin reiste die Familie nach Deutschland. Hier kamen die Zwillinge zur Welt. Die Fingerabdrücke der Eltern aus Italien wurden über Eurodac ermittelt.

Das VG Kassel argumentierte u.a., dass die Familie nicht besonders schutzbedürftig sei und Reaktionen auf schwierige Aufnahmebedingungen in Italien vorrangig vom nationalen Gesetz­geber, nicht aber von der deutschen Rechtsprechung zu korrigieren sei. Außerdem wurde die Familie für unglaubwürdig gehalten.

Zur Abrundung: Der EGMR hatte seit Italien zwei Entscheidungen Anfang 2012 gegen Däne­mark erlassen (24.01.2012 – Az. 4346/12 und 02.05.2012 – Az. 25404/12). Seit dem ver­zichtet die dänische Regierung auf die Abschiebung besonders schutzbedürftiger Personen nach Italien (die Informationen stammen von Dominik Bender).

Ebenfalls zur Abrundung: Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht verfügte mit Urteil vom 02.10.2012, dass ein lybischer Staatsangehöriger, der zunächst über Malta in die EU ein­gereist und später dann in die Schweiz weitergereist war, nicht nach Malta abgeschoben werden dürfe. Das Gericht referiert sehr ausführlich die tatsächlichen Verhältnisse in Malta, soweit sie sich aus zahlreichen Berichten von NGOs ergeben. Es weist auch darauf hin, dass Deutschland und Schweden bereits 2010 unter besonders schutzbedürftigen Personen von der Überstellung nach Malta abgesehen haben. Aufgrund dieser Informationen hält es für erforderlich, in jedem Einzelfall zu fragen, ob die betroffene Person einer Kategorie zuzuordnen ist, deren Angehörige aufgrund ihrer spezifischen Verletzlichkeit im Falle einer Überstellung nach Malta Gefahr laufen würden, wegen der dortigen Mängel des Asylverfahrens und der Auf­nahmebedingungen eine Verletzung ihrer Grundrecht zu erleiden. Im Falle der Beschwerde­führer wird dieses nicht festgelegt. Da jedoch aufgrund eines vorgelegten E-Mailverkehrs nachgewiesen wird, dass Malta beab­sichtigt, den Beschwerdeführer nach Libyen abzuschieben, stellt das Gericht eine drohende Verletzung des Refoulementgebots fest sowie auch der Bestimmung der Dublin-Verordnung. Es weist deswegen das schweizerische Bundesamt, das Selbsteintrittsrecht im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben und das Asylgesuch im nationalen schweizerischen Asylver­fahren zu behandeln.

3.    Urteil des EuGH vom 06.12.2012 (C-356/11.a)

Der EuGH hat über zwei Fälle „Patchworkfamilien“ entschieden: Die kanadische Staatsange­hörige S. besitzt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Finnland und hat die alleinige elterliche Sorge für ihr Kind, das die finnische Staatsangehörigkeit hat. Sie heiratet in Finnland einen Staatsangehörigen der Elfenbeinküste, der in Finnland ohne Aufenthaltsrecht lebt. Auf der Grundlage der Familienzusammenführungsrichtlinie wird Familienzusammenführung beantragt. 1 ½ Jahre nach der Heirat wird ein gemeinsames Kind geboren, das die kanadische Staatsangehörigkeit erhält. Das Paar lebt mit dem Kind zusammen und übt gemeinsam die elterliche Sorge aus.

Im zweiten Fall ist die Mutter algerische Staatsangehörige und besitzt ein unbefristetes Auf­enthaltsrecht für Finnland. Sie hat ebenfalls ein Kind finnischer Staatsangehörigkeit und übt die elterliche Sorge alleine aus. Beide lebten sechs Monate mit einem algerischen Staatsange­hörigen zusammen. Er hielt sich als Asylbewerber in Finnland auf, wurdeaber bereits im Oktober 2006 abgeschoben. Im selben Monat wurde geheiratet, wobei unklar bleibt, ob dies in Finnland oder Algerien geschah. 2007 wird ein weiteres Kind geboren, während sich die Mutter in Finnland aufhält. Es hat die algerische Staatsangehörigkeit. Es besteht gemeinsame elterliche Sorge. Die Mutter erhält Sozialhilfe.

Die finnische Behörde versagt ein Aufenthaltsrecht: Das Einkommen reiche nicht aus und es lägen keine Gründe für ein Zusammenleben in Finnland vor. Das vorlegende finnische Gericht fragt nach der Anwendung der Entscheidung Ruiz-Zambrano.

Im Rahmen eines obiter dictum teilt der EuGH mit, dass die Grundregeln des Ruiz-Zambrano-Falles nur unter außergewöhnlichen Umständen anwendbar seien, wenn der Unionsbürger de facto gezwungen sei, andernfalls das Gebiet der Union zu verlassen. Dies setzt in der Regel ein Abhängigkeitsverhältnis von Drittstaatsangehörigen voraus, z.B. also bei Kindern gegenüber ihren Eltern. Ob ein solcher Zwang vorliege, müsse vom nationalen Gericht entschieden werden. Unerheblich sei, ob sich der Zwang aus familiärer Beziehung zu einer Person ergäbe, mit der der Unionsbürger verwandt sei. Die Freizügigkeitsrichtlinie finde auch Anwendung auf Familienangehörige, die sich bereits im Land aufhalten. Der Familienbegriff der Richtlinie um­fasse auch Stiefkinder. Da der Anspruch auf Familienzusammenführung die Grundregel sei, sei eine automatische Ablehnung in Fällen von Sozialhilfebezug unzulässig. Der jeweilige Mitglied­staat habe vielmehr im Einzelfall sowohl die Grundrechtecharta (Art. 7 und 24) als auch Art. 8 EMRG und Art. 5 Abs. 5 der Freizügigkeitsrichtlinie besonders zu beachten.

4.    EuGH-Urteil vom 06.11.2012 (C-245/11)

Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Gerichtshofs zu der Frage nach der Ver­pflichtung eines Status zur Übernahme der Zuständigkeitsübeprüfung eines Asylantrages aus humanitären Gründen/der Gefährdung einer Frau aus Gründen der „Familienehre“ nach einem schwer traumatisierenden Ereignis in einem Drittland (EuGRZ 2013, S. 48 ff.).

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 15 Dublin II-VO. Frau K. war aus einem Drittstaat illegal nach Polen eingereist und hatte dort im März 2008 einen ersten Asylantrag gestellt. Ohne die Prüfung des Antrages abzuwarten, verließ sie Polen und reiste illegal nach Österreich ein, wo sie einen ihrer erwachsenen Söhne aufsuchte. Dieser hatte bereits gemeinsam mit seiner Ehefrau und drei minderjährigen Kindern das Asylrecht erhalten. Frau K. stellte daraufhin im April 2008 ebenfalls einen Asylantrag. Nach Auffassung der öster­reichischen Behörden sei Polen für die Prüfung dieses Antrages zuständig.

Im Hinblick auf die besondere Hilfsbedürftigkeit von Frau K. durch den Umstand, dass Fami­lienangehörige im Sinne von Art. 2 Buchstabe g der VO zwar nicht Familienangehörige sind (Schwiegertochter und Enkelkind), jedoch unter den Begriff „andere Familienangehörige im Sinne des Art. 15 Abs. 2 VO“ fallen. Der EuGH kommt zu der Auffassung, dass in diesem Fall Art. 15 Abs. 2 VO anzuwenden sei wegen der Hilfsbedürftigkeit aufgrund einer schweren Krankheit oder ernsthaften Behinderung. Im Ausgangsverfahren sei deswegen der zunächst für die Prüfung nicht zuständige Staat (Österreich) zuständig geworden im Hinblick auf die familiären Bindungen und die Krankheit/Behinderung der Klägerin.

Anmerkung: Zur Frage der Familieneinheit im Dublin-Verfahren sei ausdrücklich hingewiesen auf den Aufsatz von Henrike Janetzek: Familieneinheit im Dublin-Verfahren – Das Urteil des EuGH vom 06.11.2012 zur Anwendung der humanitären Klausel – Asylmagazin 2012, S. 2 ff. Ferner sei in diesem Zusammenhang hingewiesen auf den Aufsatz von Prof. Dr. Thomas Groß: Migrationsrelevante Freiheitsrechte der EU-Grundrechtecharta, ZAR 3/2003, S. 106 ff.

Zur Anwendung der Dublin II-Verordnung hat das Projekt „Dublin Transnational Network“ im Februar 2013 eine vergleichende Studie vorgelegt. Diese bezieht sich auf die Anwendung der Ver­ordnung in 11 EU-Staaten. Ausgewertet wurden die nationalen Rechtsprechungen und Berichte von NGOs. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Interpretation der VO erhebliche Unter­schiede bestehen. Auch fehlt es an jedem Nachweis zu einem Nutzen des Dublin-Systems (abzu­rufen unter: www.dublin-project.eu).

Bielefeld, 13. Juni 2013

gez. Holger Hoffmann


[1]       Stefan Kessler, Policy & Advocacy Officer des Jesuit Refugee Service Europe, danke ich sehr für seine substantielle Unterstützung meiner Ausarbeitung durch Hinweise auf und Überlassung von Materialien

[2]       Zu beachten ist weiter in diesem Zusammenhang Art 18 der EU-Grundrechte-Charta:

Artikel 18 – Asylrecht

Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.

Artikel 19 – Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung

(1) Kollektivausweisungen sind nicht zulässig.

(2) Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“

[3]       bisher: Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist. ABl. Nr. L 30, S. 1;

      neu: Fassung vom 31. Mai 2013 – Ratsdokument – Interinstitutionelles Dossier 2008/0243 (COD) 15605/2/12)

[4]       bisher: Verordnung 2725/2000 vom 11.12.2000 über die Einrichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, ABl. L 316;
neu: Ratsdokument – Interinstitutionelles Dossier 2008/0242 (COD) – 7713/13 vom 22. März 2013)

[5]     Zu Einzelheiten der neuen Regelungen siehe unten II, 1

[6]       Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337, S. 9

[7]       bisher: Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1.12.2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, ABl. L 326, S. 13;

        neu: Ratsdokument – Interinstitutionelles Dossier 2009/0165 (COD) – 8260/1/13) vom 4. Juni 2013

[8]       bisher: Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten, ABl. L 31;

neu: Fassung vom 31. Mai 2013 – Ratsdokument – Interinstitutionelles Dossier 2008/0244 (COD) – 14654/1/12 – Zur Neufassung dieser RL habe ich bereits ausführliche Anmerkungen im Bericht vom Herbst 2012 vorgetragen. Diese sind auf der Website der RBK weiterhin einzusehen.

[9]       Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ABl. L 212)

[10]     Richtlinie 2008/113/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Standards und Verfahren in den Mitgliedstaaten für die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348, S. 98)

[11]    VO 2007/2004, ergänzt durch die VO 1168/2011 vom 25.10.2011.

[12]    Richtlinie 2011/51/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 11. Mai 2011 zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates zur Erweiterung ihres Anwendungsbereichs auf Personen, die internationalen Schutz genießen – ABl – L 132/1 vom 19.05.2011)

[13]    Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vom 25. November 2003 – Abl – L 16/44, 23.1.2004

[14]    Entscheidung Nr. 573/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Mai 2007 zur Einrichtung des Europäischen Flüchtlingsfonds für den Zeitraum 2008 bis 2013 innerhalb des Generellen Programms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“-2007/573/EG ABl. L 144/1 vom 06.06.2007)

[15]    Steeve Peers, statewatch – Analysis: The second phase of the Common European Asylum System: A brave new world – or lipstick on a pig? – 8. April 2013, S.16