Pressemitteilung 2016

PRESSEMITTEILUNG VOM 09.04.2016

„Asylverschärfungen menschenrechtlich nicht vertretbar“

Anwälte und früherer Menschenrechtsbeauftragter kritisieren weitere Pläne der Bundesregierung

Download als PDF-Datei

Stuttgart, 9.4.2016

„Marokko, Tunesien und Algerien zu ‚sicheren Herkunftsländern‘ zu erklären, ist verfassungsrechtlich bedenklich und menschenrechtlich nicht vertretbar.“ Auf der Rechtsberaterkonferenz der Wohlfahrtsverbände kündigte der SPD-Abgeordnete und frühere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung,  Christoph Strässer, an, gegen den Gesetzentwurf zu stimmen, der ab kommender Woche im Bundestag beraten wird. Zugleich kritisierte er scharf die jüngsten Maßnahmen der Bundesregierung. Insbesondere die Begrenzung des Familiennachzugs verletze die Rechte von Kindern und Jugendlichen nach der Kinderrechtskonvention. Strässer wandte sich auch gegen die EU-Türkei-Absprache. Wirksamer für eine Regelung des Zuzugs von Flüchtlingen sei die Öffnung legaler Reisewege. Der Abgeordnete sprach sich für ein gemeinsames EU-Resettlementprogramm für 500.000 Geflüchtete aus der Türkei aus.

„Schon die bisherigen Asylpakete machen es uns in einer bisher nicht gekannten Weise unmöglich, Mandanten nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu vertreten“, sagte Rechtsanwalt Michael Koch, einer der Sprecher der Konferenz und langjährig tätig im Asylrecht. „Die geplanten Schnellverfahren sollen eine Woche dauern. In dieser Zeit dürfen die Menschen das Lager nicht verlassen. Gleichzeitig werden die Anforderungen an ärztliche Atteste massiv verschärft. Wie soll ich in so kurzer Zeit qualifiziert nachweisen, dass mein Mandant zu krank für eine schnelle Abschiebung ist? Er bekommt ja nicht einmal einen Termin beim Arzt. Am Ende werden wir schwerstkranke Menschen ins Elend schicken.“

Rechtsanwalt Heiko Habbe aus Hamburg kritisierte die geplanten Wohnsitzauflagen für Geflüchtete als integrationsfeindlich. „Der Zwang, an einem Ort zu leben, wo ich weder Arbeit noch ein soziales Umfeld finde, hilft weder den Betroffenen noch den Kommunen“, sagte Habbe. Der Europäische Gerichtshof habe solchen Auflagen enge Grenzen gesetzt. „Es ist nicht ersichtlich, wie die Große Koalition diese einhalten will.“

„Die Bundesregierung könnte für ihre Asylpolitik zudem in Kürze von der EU-Kommission vor den Europäischen Gerichtshof zitiert werden“, sagte Prof. Dr. Holger Hoffmann. Wichtige Schutzstandards mehrerer EU-Richtlinien seien seit fast drei Jahren nicht umgesetzt. Dazu gehörten ein Ende überlanger Asylverfahren, ein Recht auf kostenfreie qualifizierte Rechtsberatung und die besondere Rücksichtnahme auf Minderjährige, Schwangere, psychisch Kranke und weitere besonders schutzbedürftige Personen. „Es wird Zeit,“ so Hoffmann, „dass die Bundesregierung ihre Arroganz gegenüber dem europäischen Recht aufgibt.“

Die Rechtsberaterkonferenz der Wohlfahrtsverbände ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die in Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden Deutscher Caritasverband, Diakonie Deutschland und Deutsches Rotes Kreuz sowie dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) es sich seit über drei Jahrzehnten zur Aufgabe gemacht haben, Rechtsberatung für Asylsuchende und ausländische Flüchtlinge durchzuführen. Ihre Mitglieder treffen sich regelmäßig zum Informations- und Meinungsaustausch, geben Fachpublikationen heraus und melden sich öffentlich zu Wort, wenn es um Asylsuchende und ausländische Flüchtlinge geht.

Für Rückfragen stehen Ihnen zur Verfügung:

Rechtsanwalt Michael Koch, Textorstr. 9, 97070 Würzburg, Tel. 0931-52142, E-Mail koch@unsere-anwaelte.de

Rechtsanwalt Heiko Habbe, Eifflerstr. 3, 22769 Hamburg, Tel. 040-514 93 271, E-Mail RA.Habbe@gmx.de

Prof. Dr. jur. Holger Hoffmann, FH Bielefeld, Postfach 10 11 13, 33511 Bielefeld, Tel. 0521/106-7844, E-Mail holger.hoffmann@fh-bielefeld.de