Seit 1999 legt die Rechtsberaterkonferenz in unregelmäßigen Abständen Vorschläge zu Flüchtlings-, Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht vor in der nicht unberechtigten Hoffnung, dass diese von einem größeren Personenkreis geteilt und umgesetzt werden.
Im Vorwort zur Vorauflage der Forderungen im Jahre 2010 heißt es:
Ganz überwiegend sind die Mitglieder der Rechtsberaterkonferenz seit mehr als 25 Jahren auf diesen Rechtsgebieten tätig. Sie verfügen also über ein nicht unerhebliches Maß an Erfahrungen und Erkenntnissen im Umgang mit den inzwischen zahllosen gesetzlichen Änderungen im Bereich des Ausländer- und Asylrechts und ebenso vieler Schleifen, Wendungen und Irrwege der Rechtsprechung. Dies rechtfertigt es aus unserer Sicht, sich zu Wort zu melden.
Veranlasst und geprägt werden die Thesen deswegen auch vom Umgang mit und der Vertretung ausländischer Staatsangehöriger, seien sie als Flüchtlinge oder zu anderen Aufenthaltszwecken nach Deutschland gekommen, vor Behörden und Gerichten. Zunehmend von Bedeutung ist ebenso die teilnehmende Beobachtung der europäischen Flüchtlings- und Ausländerpolitik.
Ziel dieser Thesen ist nicht, es besser zu wissen oder vorhandene Regelungen als durchgängig negativ darzustellen. Beabsichtigt ist vielmehr, auf der Grundlage umfänglicher praktischer Erfahrungen Denkanstöße für Verbesserungen zu geben. Insoweit sind sie parteilich im Sinne anwaltlichen Handelns für Flüchtlinge und andere ausländische Staatsangehörige.
Verwunderlich erscheint insbesondere bezüglich der zurückliegenden fünf Jahre, wie häufig deutsche Politik und Gesetzgebung auf diesem Feld meinungsstark, aber nicht durchgängig sachkundig redet. Oft dauert es erstaunlich lange, bevor verstanden wird, dass die Umsetzung von EU-Richtlinien, die mit deutscher Zustimmung verabschiedet wurden, in nationales Recht Veränderungen bedeutet: Längst nicht alles, was „immer schon so“ im national und polizeirechtlich geprägten deutschen Ausländerrecht üblich war, kann auch in der „europäischen Gegenwart und Zukunft“ weiter gelten.
Politisches Klima und rechtliche Vorgaben bezüglich ausländischer Staatsangehöriger haben sich seit Mitte der 80er Jahre in Deutschland deutlich verändert – von Verbesserung zu sprechen, erschiene zu euphemistisch. Die Erstarkung rechtsradikaler Tendenzen und die neuerdings wieder häufig wahrzunehmende Bereitschaft vieler PolitikerInnen, es für „angemessen“ zu halten, streng disziplinierend gegen Ausländer zu agieren, ist leider nicht nur ein deutsches, sondern ein europaweit zu beobachtendes Phänomen. Es hat aber gerade auch in der Debatte nach Veröffentlichung des Buches von Sarrazin bedauerlich oft Formen angenommen, die uns besorgt fragen lassen, ob wirklich noch jederzeit rechtsstaatlich oder nur populistisch gedacht und gehandelt wird, sobald es um die Rechtsstellung und eine gesicherte Lebensperspektive geht für Ausländer, die in Deutschland oft schon seit ihrer Geburt leben.
Einige der mit den Thesen angesprochenen Probleme wurden zwischen deren erster Veröffentlichung im Juli 2010 und dem Druck der vorliegenden Broschüre aufgegriffen im Rahmen der Reformvorschläge zum Ausländerrecht, die seit Ende September 2010 vorliegen. Andere haben sich inzwischen noch verschärft, z. B. mit der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung zur Frage, welche Einkommensarten und –bestandteile als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu einem „gesicherten Lebensunterhalt“ gehören.
Uns würde es freuen und das Ziel dieser Thesen wäre weitgehend erreicht, wenn wieder eine rationale, an rechtlichen Vorgaben und nicht an Wahlterminen orientierte Debatte in diesem Bereich geführt würde.
Hier geht es zu unseren Forderungen: